Rezension/Presse

Sächsische Zeitung (Kultur) vom 19.02.2004


„Die Windfängerin“

Ein neuer Roman von Ingrid Hahnfeld

Rudolf Scholz


Starke Charaktere zeichnen sich dadurch aus, dass sie oft schon frühzeitig ihre Lebensentscheidungen treffen und diese gegen alle Widerstände zu verwirklichen suchen. Auch Rune ist ein solcher Charakter. Bereits in jungen Jahren weiß sie, sie will Schauspielerin werden. Doch bei den ihr am nächsten stehenden Menschen findet sie wenig Verständnis. Auch Benjamin, „der Mann, der aus dem Wind kommt“, dem ihre erste große Liebe gehört, versucht beharrlich, sie von ihrem Entschluss abzubringen. So bleiben ihr Umwege und Konflikte nicht erspart. Sie kämpft sich durch, bis sich ihr endlich die Türen der Schauspielschule öffnen. Doch noch eine weitere Last bedrückt von Kindheit an ihre Seele: die Versehrtheit der Hände, die durch einen Hebammenfehler bei der Geburt verursacht wurde und sie zeitweilig zu einer Außenseiterin macht. Doch sie überwindet auch ihre inneren Ängste, wird zur Windfängerin, lernt, mit dem Handikap ihrer Hände zu leben – poetische Metapher der Selbstsuche und des Lebensmuts.

Mit Rune hat Ingrid Hahnfeld (Jg. 1937), die zahlreiche Romane veröffentlichte („Villa Ruben“, „Brot für Schwäne“, „Höllenfahrt“, „Nicht Ophelia“), der Reihe ihrer Frauengestalten eine weitere lebensvolle Gestalt hinzugefügt. Die Autorin schöpft aus dem Fundus eigener Erfahrung; sie selbst studierte an der Hochschule für Schauspielkunst Berlin und war mehrere Jahre an den Landesbühnen Sachsen tätig. Mit emotionaler Eindringlichkeit erzählt sie die Geschichte Runes ganz aus deren innerer Mitte heraus: die entbehrungsreichen Kindheitsjahre, die Traumbilder der Heranwachsenden und die prägenden Impulse, die daraus erwachsen: „Heraus in eure Schatten, rege Wipfel...“ Einprägsam und charaktervoll auch jene Menschengestalten, die Rune auf dem Weg ins Lebens begleiten: das wunderbare Großelternpaar, Klarissa, die Rune unehelich zur Welt bringt, die warmherzig-mütterliche „Gambe mit dem dunklen Zopf“. Dazu das illustre Ensemble der Kommilitonen: „Einer wirft des anderen Spiegelbild“. Die jugendlich inspirierte Gewissheit der eigenen Berufung, Aufbruch und ungebrochenes Zukunftsvertrauen. Das mag auch der Grund sein, dass die Konsonanz dominiert und selbst der Tod eines Kommilitonen keine tiefgreifenden erzählerischen Konsequenzen hat.

Ingrid Hahnfeld wählte eine facettenreiche, auf punktuelle Verknappung gerichtete Erzählweise, einen poetisierenden Sprachduktus, der dem Roman intensive Bildhaftigkeit verleiht, gelegentlich aber auch konventionellen Sprachmustern erliegt. Vordergründige zeitgeschichtliche Diskurse versagt sie sich. Immer ist es Runes individuelle Erfahrungswelt, die den Leser fesselt, ein poetischer Lebensreport, in welchem der Mut zu sich selbst einen weiblichen Namen trägt.


Ingrid Hahnfeld

Die Windfängerin. Roman

Dr. Rinke Verlag, 9,90 Euro


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